Rede zur Ortsumgehung Lispenhausen
Herr Stadtverordnetenvorsteher, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind heute aufgerufen, über den Bau der Ortsumgehung Lispenhausen abzustimmen, ob wir sie überhaupt wollen oder nicht. Dass sie nötig ist, wird selbst von den Gegnern der vorgesehenen Variante 1a nicht bestritten. Nur, sie wollen keinen Damm bzw. Brücke vor ihrer Nase, während die anderen endlich vom Lärm und Gestank und anderen unangenehmen Begleiterscheinungen der B 27 genug haben und entlastet werden wollen.
Man muss sich vorstellen, 2004 wurde für 2020 in der Ortsdurchfahrt Lispenhausens ein Fahrzeugaufkommen von 14 600 Fahrzeugen prognostiziert. Das wurde aber bereits 2010 erreicht und es steigt jährlich weiter.
Hier muss etwas geschehen
Zunächst einmal respektieren wir von der UBR selbstverständlich jeden, der sich für etwas – und seien es seine eigenen Interessen – einsetzt und engagiert. Dies sollte jedoch nicht einäugig geschehen, sondern drei Grundsätze müssen beachtet werden:
- Erstens muss man auch bereit sein, die Meinung anderer in Ruhe anzuhören.
- Zweitens sollte man diese und die eigene Meinung ernsthaft überprüfen, ob nicht Gemeinsamkeiten vorhanden sind, die einen Kompromiss möglich machen könnten.
- Drittens muss dann nach Abwägung aller bekannten Umstände sachgerecht entschieden werden.
Mit nicht zu verwirklichenden Vorschlägen ist allerdings kein Kompromiss zu erzielen. Er muss auch praktisch durchführbar sein. Es ist insofern nicht ehrlich zu sagen, man sei ja auch für eine Ortsumgehung, aber im gleichen Atemzug wird Unmögliches verlangt wie z.B. die Forderung nach einer Tunnellösung, die das Fünffache kostet und jeder weiß, dass dafür kein Geld da ist und die Ortsumgehung dann erledigt wäre.
Genau so unmöglich ist es, von der Stadt zu verlangen, sie solle schriftlich garantieren – so geschehen in der Bürgerversammlung – dass weder ein Jahrhundert- noch ein Jahrtausendhochwasser – also nie wieder eines – kommen könne und wenn doch, müsse die Stadt, also die Allgemeinheit, dann für alle eventuellen Schäden haften. Ja, wo sind wir denn? In Rotenburg gab es seit Jahrhunderten immer wieder Hochasser, nicht erst seit 1995, auch wenn einige so tun. Und die Menschen hatten sich darauf eingestellt.
Als wir vor 46 Jahren im November 1966 nach Rotenburg zogen, mussten wir gleich am Heiligabend Bekanntschaft damit machen. Obwohl das Haus selbst nicht im Wasser stand, drang das Grundwasser durch die Grundmauern wie aus Wasserhähnen in den Keller und die ganze Nacht schleppten wir Wassereimer ins Freie, damit die Heizung nicht vom Wasser lahm gelegt wurde. Schlimmer ging es denen, die näher an der Fulda wohnten, z.B. in der Türkei. Dort musste die Bundeswehr mit Booten helfen. Damals standen im hinteren Bereich der heutigen Bürgerstraße nur ganz wenige Häuser, da hier mit Hochwasser zu rechnen war. In den Plänen der Stadt waren die Hochwasserlinien exakt eingezeichnet und jeder konnte sie einsehen. Einige von denen, die jetzt die Zersiedelung der Fuldaaue verdammen und die schlimmen Folgen sogar eines möglichen Jahrtausendhochwassers als Gespenst an die Wand malen, haben damals gewusst, dass ihr Baugrund im Hochwasserbereich lag – und trotzdem gebaut, was die Abflussmöglichkeiten bei Hochwasser zusätzlich behinderte. Doch es war erheblich billiger, als am Hang in den Berg bauen zu müssen und hohe Summen für massive Stützmauern auszugeben. Hätten die Bauherren damals die ersparte Summe in den Hochwasserschutz ihrer Häuser gesteckt, wären die Schäden 1995 wahrscheinlich weniger schlimm gewesen. Selbst ein Architekt baute dort Blocks mit Eigentumswohnungen, deren Keller natürlich beim Jahrhunderthochwasser 1995 sämtlich unter Wasser standen. Und wer vorher die potenzielle Hochwassergefahr ignoriert hatte, setzte sich nun vehement für die Durchführung der Hochwasserschutz-maßnahmen durch die Stadt ein, deren Finanzierung von allen Bürgern solidarisch mitgetragen wurde. Das sind auch Schulden, die wir heute noch abbezahlen. Auch das muss mal gesagt werden.
Herr Wacker zeigte auf, dass bei Hochwasser keine zusätzliche Gefährdung durch die Ortsumgehung zu erwarten ist. Unerfüllbar und absurd ist jedoch die Forderung an die Verantwortlichen der Stadt, sie sollten schriftlich garantieren, dass nie wieder ein Hochwasser käme und wenn doch, seien alle Schäden betroffenen Bürgern vollständig zu ersetzen. Genausogut könnte man eine Garantie fordern, dass in Rotenburg kein Flugzeug abstürzt. Das ist zwar auch so gut wie ausgeschlossen, aber nicht unmöglich.
Ich selbst habe den Berechnungen der Herren Vollmer und Wacker zur Hochwasserentlastung in Rotenburg seiner Zeit misstraut und musste mich erfreulicherweise eines Besseren belehren lassen. Ich sehe deshalb keinen Grund, warum ich jetzt den Aussagen und Berechnungen des Herrn Wacker keinen Glauben schenken sollte.
Die UBR-Fraktion hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht. Wir haben die unterschiedlichen Argumente angehört und zur Kenntnis genommen (Anhörung, Presseberichte, Leserbriefe usw.) und eine gewissenhafte Abwägung vorgenommen.
In der Bürgerversammlung wurde von den Verantwortlichen auf dem Podium – vornehmlich Herrn Bürgermeister Grunwald, Herrn Wöbbeking und Herrn Wacker, in aller Ausführlichkeit die Maßnahme dargestellt und mit großer Geduld wurden alle Fragen – auch mehrmals – beantwortet.
Herr Wöbbeking legte den Stand der bisherigen Planungen ausführlich und für jeden nachvollziehbar dar und erklärte, nach welchen Kriterien von den 6 möglichen Varianten – wobei 1 + 2 noch unterteilt waren – alle bis auf die Variante 1 a ausgeschieden werden mussten. Dabei spielten zwar auch die Kosten eine Rolle, jedoch keineswegs die einzige. Auch den Verlauf der künftigen Planungen und welche rechtlichen Möglichkeiten die Gegner der Maßnahme hätten, wurde erläutert.
Ein Tunnel mit einer 280 m langen Brücke über das Haseltal wäre mit mindestens 80 Millionen € die teuerste Lösung. Er würde allerdings auch die Wassergewinnung für Rotenburg massiv beeinträchtigen, für erhöhtes Unfallrisiko sorgen und bedeutend höhere jährliche Folgekosten verursachen. Natürlich spielten auch die Investitionskosten eine wichtige Rolle, denn wer lässt sich schon gern im Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes als Verschwender brandmarken, wenn es ein Bauwerk für 17,4 Millionen € auch getan hätte. Der Verweis auf die 40 Mill. €, die in die Kaserne investiert wurden, die jetzt ge-schlossen werden soll, kann kein Argument dafür sein, diesen Unsinn auf die geplante Maßnahme zu übertragen und jetzt weitere über 60 Millionen aus dem Fenster zu werfen.
Eine Anbindung an die B 27 in Bebra in Höhe Sportplatz oder Kläranlage musste auch wegen sachlicher „Widerstände“ verworfen werden, da die Umweltverträglichkeitsstudie ergab, dass massive Beeinträchtigungen im Landschaftsschutzgebiet Fuldaaue, dem Vogelschutzgebiet Fuldatal und den Überschwemmungsflächen zu erwarten wären. Die Alternativen 1 b und 2 b schieden aus, weil die erforderlichen Trogunterführungen unter der Bahn nicht nur als Investition und auch bei den Folgekosten erheblich teurer wären, sondern auch eine beachtliche Gefährdung des Grundwassers durch die Zerschneidung der zusammenhängenden Grundwasserschichten absehbar ist.
Auch die anderen Varianten schieden aus. Übrig blieb die Variante 1a.
Diese soll nun laut Beschlussvorschlag des Magistrats insoweit verändert werden, als zwischen Bebra und Lispenhausen vorrangig eine Unterführung vorgesehen wird, soweit dies technisch machbar ist. Außerdem soll Hessen Mobil die hydraulische Unbedenklichkeit dieser Variante im Hinblick auf den Hochwasserschutz für die Kernstadt und den Stadtteil Lispenhausen nochmals genau überprüfen. Mehr können wir nicht tun.
Das heißt: Variante 1 a mit Berücksichtigung des Magistratsvorschlags oder keine!
Bei unserer Entscheidung geht es nicht darum, „lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“ Es gibt definitiv keine Taube auf dem Dach, die man – vielleicht – haben könnte, wenn man den Spatz in der Hand nicht nehmen will. Eine Umgehung per Luftbrücke mit Zeppelinen – z.B. Cargo-Lifter (pleite) – gibt es auch nicht.
Diese Variante ist sowohl vertretbar als auch für ganz Rotenburg unverzichtbar! Denn man braucht kein Prophet zu sein: Würde durch ein Bürgerbegehren oder eine Klage die Ortsumgehung abgelehnt, wird es auch mit Sicherheit keine dritte Fuldabrücke geben. Denn auch dafür muss die Bahn und dann noch die Fulda überquert werden. Und ehe man sich einen zweiten Korb bei der Bevölkerung abholt, wird man es uns gar nicht mehr erst anbieten. Insofern sind wir anderer Meinung als der Bürgermeister, der Ortsumgehung und Dritte Fuldabrücke noch in der Bürgerversammlung als völlig getrennte Maßnahmen begriffen haben wollte.
Wir sehen hier einen unauflösbaren Zusammenhang und sagen: Ohne Ortsumgehung keine Dritte Fuldabrücke und damit auch schlechte Vermarktungsmöglichkeiten des Kasernengeländes mit allen negativen Folgen.
Nur wenn die Brücke an die Ortsumgehung angebunden werden kann, wird sie auch kommen. Dann allerdings werden auch die Rotenburger an der B 27 (Negerdörfchen und Kasseler Straße) erheblich entlastet, weil der Zielverkehr zur Innenstadt und Hochmahle/ Toberod bereits von der Umgehung abzweigt, wodurch die Mündershäuser Straße mehr Verkehr bekommen wird.
Die Vorteile für den Kernbereich Lispenhausens liegen klar auf der Hand. Senkung des Unfallrisikos vor allem für Kinder und Senioren, da die Verkehrssicherheit im Zentrum durch einen etwa 85%-igen Rückgang des Verkehrsaufkommens erheblich verbessert wird. (Beispiele Breitenbach, Blankenheim). Dadurch erfolgt auch eine niedrigere Umweltbelastung (Abgase, Feinstaub) für alle Einwohner und auch insgesamt, nicht nur eine Verlagerung, da der Verkehrsfluss zügiger und ohne Staus abläuft. Die hohe Lärmbelastung an der jetzigen B 27 wird ebenfalls um 80 bis 90% reduziert.
Auch für die sogenannte „Enklave“ gibt es nicht nur Nachteile: Die Anbindung an die Umgehung gewährt freie Fahrt auch bei gesperrter Bahnschranke für Arzt, Krankenwagen, Feuerwehr usw. Dies ist ein erheblicher Vorteil, da die Schrankenschließungen wegen zunehmenden Güterverkehrs laufend zunehmen. Für Fussgänger, Radfahrer und Landwirte wird es Übergänge/Unterführungen geben und die Lärmbelästigung wird durch Schallschutz minimiert.
Beklagt wurde die Höhe des Bauwerks, das an den Stellen der Bahnüberquerung 10 m erreicht, wozu noch 4 m Schallschutzwände hinzukommen. Es störe in der Landschaft, beeinträchtige die (Aus-)sicht ins und im Fuldatal, mache aus dem Unterdorf noch mehr eine eingekreiste Enklave, weil die Bahn die Übergänge schließen könnte. Kritisiert wird auch die Höhe der Schallschutzwände. Wären keine vorgesehen, wäre dies jedoch ein berechtigter Kritikpunkt.
Ein Recht auf freie Sicht gibt es allerdings grundsätzlich nicht. Jedes Bauwerk, ob Brücke, Hochhaus, Autobahn oder selbst ein Einfamilienhaus ist ein Eingriff in Natur und Landschaft. Wenn ein Hausbesitzer einen Anbau plant und dabei die gesetzlichen Vorschriften einhält, kann ihm der Nachbar das nicht verbieten lassen, auch wenn er zukünftig gegen eine weiße Wand gucken muss. Trotzdem wollen wir versuchen, mit dem vorgelegten Beschlussvorschlag diesen Bedenken abzuhelfen. Es ist natürlich verständlich und legitim, wenn Betroffene subjektiv vor allem ihre eigenen Nachteile sehen und Benachteiligungen anderer Bürger nicht wahrnehmen wollen und ausblenden, auch wenn sie diese als Betroffene selbst nicht akzeptieren würden.
Dies zeigte auch die Bürgerversammlung ganz deutlich. Was die Anwohner der Nürnberger Straße seit Jahrzehnten ertragen müssen, interessierte die Gegner der Ortsumgehung nicht. Wenn schon mal jemand wagte, dies Thema anzusprechen, wurde er fast ausgebuht. Wichtiger schien zu sein, ob man mit dem Rad weiterhin durch die Fuldaaue nach Rotenburg fahren oder den Hund an der Fulda ausführen könne. Beides wird möglich sein und auch für die Landwirtschaft wird es Zugang zu den Flächen hinter der Umgehung geben.
Die Ortsumgehung Lispenhausen wird in einem demokratischen Verfahren verwirklicht werden, in dem alle gehört werden und wo jeder das Recht hat, seine Bedenken schriftlich einzureichen und notfalls die Entscheidungen auch juristisch überprüfen zu lassen. Wir, die Stadtverordneten Rotenburgs, müssen und werden versuchen, Vor- und Nachteile abzuwägen und für GesamtRotenburg die bestmögliche Lösung zu beschließen. Es allen recht zu machen, geht leider nicht. Eine wie auch immer geartete Entscheidung wird für die jeweiligen Betroffenen immer unpopulär sein, wie sie auch aussehen mag. Es hilft uns auch nicht weiter, wenn einzelne Vertreter von Interessengruppen aggressiv emotionales Keulenschwingen praktizieren und z.T. auch im Vorfeld in Telefonanrufen verbale Drohungen ausstießen gegen alle, die vielleicht demnächst gegen ihre Wünsche entscheiden müssen. Davon dürfen und werden wir uns nicht beeindrucken lassen.
Nach Abwägung aller Argumente wird die UBR für die Ortsumgehung stimmen, weil die Vorteile für die Bürger Lispenhausens insgesamt weit überwiegen und auch die originären Interessen der zukünftigen Entwicklung Rotenburgs sonst unwiederbringlichen Schaden nehmen würden.